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Aus der Welt der Literatur



2004-11-25
Hundstage (Walter Kempowski / Abrecht Knaus Verlag, München / ISBN 3-8135-0391-7)

Ein alternder Schriftsteller schreibt über einen alternden Schriftsteller, der - seine Frau befindet sich auf einer Reise - alleine in seinem großen, einsamen Landhaus den heißen Sommer verbringt, sich mit hergelaufenen jungen Frauen und Mädchen umgibt und tagein, tagaus in seinen alterspubertären, bisweilen abstrusen Fantasien schwelgt. „Hundstage“, jene heißesten Tage eines Sommers, hat Kempowski seinen Roman genannt, der - 1988 erschienen - für erhebliches Aufsehen sorgte. Bis heute wollen die Stimmen nicht verstummen, die in dem vierhundertseitigen Werk autobiographische Züge entdecken wollen. Dessen ungeachtet bedurfte es außerordentlich großen Mutes, Gedanken solcher Art zu äußern, die so wesensfremd einem Manne wohl nicht sind. Bei der Aktion „Mein Lieblingsbuch“ erklärte u. a. ein nicht unbekannter Feuilletonist einer großen Tageszeitung dieses Buch, das zu lesen nicht jedermanns Sache ist, zu seinem Favoriten. Durch ihn findet das Buch Erwähnung an dieser Stelle.

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Textauszug:

Die Sonne stand hoch über Sassenholz, Sowtschick fühlte sich jung und voller Tatenkraft. Wie die Hunde, so war auch er frisch gebürstet, wenn er auch kein blaues Schleifchen trug: Ein Kettchen trug er um den Hals, mit einem Anker dran. Er hatte sich diese Kette mit dem Anhänger vor vielen Jahren gekauft, um sich bei Anfechtungen, die sich außerhalb der Ehe ab und zu näherten, daran zu erinnern, daß er bereits vor Anker gegangen war - was ihn leider nicht vor Unregelmäßigkeiten bewahrte. Die Hotel-Sache mit Carola Schade zum Beispiel, diese irgendwie mißglückte Angelegenheit. Als sie in dem geblümten Hotelzimmer endlich zusammengefunden hatten und heftig atmend, die entblößten Oberkörper einander näherten, war es Carolas übergroße Neugier gewesen, die das Treffen mißglücken ließ. Mit dem Finger hatte sie den Anker angeschubst, obwohl er mehrmals warnte: „Laß das bitte.“
Die Pferdemädchen lagen Tag für Tag mit hochgestellten Schenkeln vor dem Videoapparat und sahen Trickfilme. Sowtschick mußte sich jedesmal dazulegen, das verlangten die Mädchen. Er nannte sie seine beiden Raubritter, und sie neckten ihn ein bißchen, nahmen ihm die Brille ab und faßten mit den Fingern aufs Glas - kurz, alles Unternehmungen, die Sowtschick sich gefallen ließ, Schneeweißchen und Rosenrot: harmlose Scherze. Sie spielten mit dem Feuer, die beiden, ohne zu ahnen, worum es sich dabei handelt. Und Sowtschick, der sich mit dem Feuer auskannte, ließ während der Rangelei flink die Augen schweifen, ob nicht vielleicht Erika auf die Idee käme, ihm wieder mal die Teufelsmaske zu zeigen, oder ob Gabi ohne zu klingeln den Büchergang herunterschliche, um zu fragen, ob dies Gedicht hier, was sie hier eben so in einem Zug hingeschrieben hat, nicht unheimlich in Ordnung wäre. Auch hätte die Möglichkeit bestanden, daß die Schlosser ins Haus eingedrungen wären mit der Frage, wo denn nun eigentlich die Gitter anzubringen sind. Deshalb also spitzte Sowtschick die Ohren und ließ die Augen schweifen, während die Mädchen sich anschickten, ihn mit ihrem Pony zu verwechseln.



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