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Aus der Welt der Literatur



2004-06-20
Jenseits von Eden (John Steinbeck; Lingen Verlag, Köln)

In seiner Heimat, im kalifornischen
Salinas Valley, läßt Steinbeck diesen epochalen Roman über Leben und Schicksal zweier eingewanderter irischer Familien spielen. Die Suche nach dem Garten Eden, dem verlorenen Paradies, treibt die Menschen in ruheloser Unrast um. Sie müssen schmerzvoll erkennen, daß die Psyche der menschlichen Natur irdischem Glück dauerhaft entgegensteht. Steinbeck besticht mit tabuloser Offenheit, hält einen Spiegel all jenen vor, die die Abgründe menschlichen Denkens und Handelns leugnen. Ein grandioses Werk, vielleicht das bedeutendste überhaupt aus Steinbecks Schaffen.

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Textausug:

Als Zehnjährige bereits wußte Cathy einigermaßen Bescheid über die Macht des Geschlechtstriebes, und sie begann kalten Bluts, damit Versuche anzustellen. Sie ging ganz kalt und planmäßig, alle Schwierigkeiten voraussehend und dagegen vorsorgend, zu Werk.
Die spielerischen Anfänge des Geschlechtslebens bei Kindern hat es immer gegeben. Jeder nicht anomale Mann hat wohl mit kleinen Mädchen in einer dichten, dunklen Laube, auf dem Heuboden, unter einem Weidenbaum, in einem Chausseegraben Heimlichkeiten getrieben – oder zumindest davon geträumt. So gut wie alle Eltern sehen sich früher oder später diesem Problem gegenüber, und glücklich dasjenige Kind dann, dessen Vater oder Mutter der eigenen Jugend eingedenk ist. Zur Zeit von Cathys früher Jugend jedoch lag es damit mehr im argen. Das bei ihren Kindern entdecken zu müssen, was sie bei sich verleugneten, entsetzte die Eltern.

Mrs. Ames erinnerte sich, daß sie Cathy hatte nach dem Stall zuschlendern sehen. Sie rief nach ihr; als sie keine Antwort bekam, dachte sie, sie hätte sich wohl geirrt. Sie wollte gerade ins Haus gehen, als sie aus der Remise ein Gekicher hörte. „Cathy!“ rief sie. Keine Antwort. Es wurde ihr nicht ganz geheuer zumute. Sie versuchte sich den Klang des Gekichers ins Gedächtnis zurückzurufen. Es war nicht der Klang von Cathys Stimme gewesen. Cathy kicherte überhaupt nie. Woher oder wieso eine Mutter oder einen Vater plötzlich Furcht überfällt, das läßt sich nicht ergründen. Tatsächlich steigt solche Beängstigung oft ohne jeden Grund auf. Und zwar macht sie sich am häufigsten bei Eltern von einzigen Kindern geltend, Eltern, denen in bösen Träumen oft der Verlust des einzigen Kindes vorgeschwebt hat.
Mrs. Ames blieb stehen und horchte. Sie hörte verstohlenes Geflüster; leise ging sie auf die Remise zu. Die Türflügel waren geschlossen. Das Gemurmel kam von drinnen, sie konnte aber Cathys Stimme nicht erkennen. Sie tat noch einen raschen, großen Schritt und riß die Türflügel auseinander, so daß das helle Sonnenlicht in den Raum stürzte. Was sie sah, ließ sie, mit offenem Munde, zur Salzsäule erstarren. Cathy lag auf dem Boden, die Röcke hochgeschlagen, nackt bis zur Hüftlinie, und neben ihr knieten zwei Buben von etwa vierzehn Jahren. Die plötzlich einbrechende Helligkeit hatte sie ebenfalls erstarren lassen. Cathys Augen waren blank vor Schreck. Mrs. Ames kannte die Buben, kannte deren Eltern. Plötzlich sprang einer der Buben auf, schoß an Mrs. Ames vorbei und rannte um die Hausecke herum. Der andere Junge wich hilflos vor der Frau seitwärts und stürzte mit einem Schrei zur Tür hinaus. Mrs. Ames hatte nach ihm packen wollen, aber ihre Finger glitten an seinem Kittel ab, und weg war er. Sie konnte ihn draußen laufen hören. Mrs. Ames rang nach Worten; ihre Stimme war zu einem flüsternden Krächzen geworden. „Steh auf!“ Mit leeren Augen starrte Cathy zu ihr hoch und rührte sich nicht. Mrs. Ames erkannte, daß Cathys Handgelenke mit einem starken Strick zusammengebunden waren. Sie schrie auf, stürzte zu Cathy hin und hantierte an den Knoten herum. Dann trug sie Cathy ins Haus und steckte sie ins Bett.

Der Hausarzt, der Cathy untersuchte, fand kein Anzeichen dafür, daß ihr Gewalt angetan worden war. „Sie können Gott danken, daß Sie rechtzeitig dazugekommen sind“, sagte er ein ums andere Mal zu Mrs. Ames.
Lange Zeit gab Cathy keine Silbe von sich. Die Schockwirkung, nannte es der Doktor. Und als sie darüber hinaus war, weigerte sie sich zu sprechen. Wenn man eine Frage an sie richtete, weiteten sich ihre Augen, bis alles Weiß um die Pupillen herum sichtbar wurde, ihr Atem stockte, ihr Körper wurde steif, und ihre Wangen röteten sich vom Einhalten des Atems.

Der Auseinandersetzung mit den Eltern der Knaben wohnte Dr. Williams bei. Mr. Ames verhielt sich fast die ganze Zeit über still. Er hatte den Strick in der Hand, der um Cathys Handgelenke gebunden gewesen war. In seinen Augen lag ein grübelnder Blick. Es gab da allerhand, war ihm unverständlich war, aber er brachte es nicht aufs Tapet.

Mrs. Ames redete sich in eine unentwegte Hysterie hinein. Sie war am Tatort gewesen. Sie hatte mit Augen gesehen. Sie war die höchste Autorität für den Fall. Aus ihrer Hysterie lugte eine sadistische Teufelsfratze heraus. Sie wollte Blut sehen. Mit einer gewissen Lust kniete sie sich in ihre Forderung nach exemplarischer Bestrafung hinein. Der Ort, das Land mußten behütet werden. Das war der Grundgedanke, auf den sie die Sache nunmehr stellte. Sie war, Gott sei gedankt, gerade noch rechtzeitig gekommen. Aber vielleicht würde das das nächste Mal nicht der Fall sein; und wie war andern Müttern zu Sinn? Und Cathy zählte erst zehn Jahre.

Die Strafmethoden waren damals roher als heutzutage. Man glaubte damals ehrlich daran, daß die Peitsche ein Werkzeug der Tugend sei. So wurden die Knaben erst jeder einzeln und dann gemeinsam ausgepeitscht, bis ihnen das Fleisch in Fetzen hing. Ihr Verbrechen war schon übel genug, aber ihre Lügen bewiesen eine Verderbtheit, der auch die Peitsche nicht abhelfen konnte. Von Anfang an war ihre Verteidigung lächerlich gewesen. Cathy, sagten sie, habe das Ganze aufgebracht, und jeder von ihnen habe ihr fünf Cents gegeben. Sie hätten ihr nicht die Hände gebunden. Sie erinnerten sich, daß Cathy mit einem Strick herumgespielt habe.



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