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Aus der Welt der Literatur



2004-05-03
Kummer mit jütländischen Kaffeetafeln (Siegfried Lenz :

Lenz´ Schilderung seines "Martyriums" in heimeliger Bauernstube, unter jütländischen Gastgebern und Freunden, die es so überaus gut mit ihm meinen, verrät vor allem eines: seine innige Zuneigung und Wertschätzung gerade dieser liebenswürdigen Menschen, die ihn - fernab aller wissenschaftlich erhärteten Ernähungsempfehlungen - mit gewaltigen, nicht enden wollenden Kuchengebirgen und Kaffeeströmen traktieren. Gerade so, als gelte es, fortan sieben Hungerjahre zu überstehen. Lenz im leichten Gefilde, gewiß, gleichwohl in brillanter Manier. Wer etwas zum Vorlesen am Nachmittag sucht: hier wird er fündig.

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Textauszug:

Die Gastgeberin ließ es sich nicht nehmen, den Kaffee selbst einzuschenken, kräftigen, stark gebrannten Kaffee, und wem es aus der Tasse dampfte, der durfte auch gleich probieren, und auf einmal war ein Seufzen am Tisch, ein Stöhnen, man seufzte und stöhnte mit geschlossenen Augen, freimütig, anhaltend, die unendliche Wohltat bezeugend, die man heiß im Schlund spürte - wir seufzten ungeübt mit und nickten zu dem vollständigen Bekenntnissatz, daß doch nichts über eine gute Tasse Kaffee gehe. Dann ein Wink, und die schönen Teller mit den gebutterten Brötchen begannen zu kreisen.
Sie kreisen immer, die Teller, niemand entgeht ihrer Forderung, zu nehmen und noch einmal zu nehmen. Wir trennten also die Mehrdecker, hoben die halben Rundstücke ab, die so aufeinander lagen, daß auch die Unterseite kräftig Butter annahm, und es war ein zufriedenes Mahlen und Trinken, allerdings äugten wir, schon am Ende unserer Möglichkeiten, bestürzt auf die eigenen Teller, auf die stumme Zentrifugalkraft immer neue Brötchen brachte. Meinen hilfesuchenden Blick beantwortete die Hausfrau mit dem zweiten vollständigen Satz, sie sagte: Wir sollen es ganz gemütlich haben. Ich nickte dankbar, doch ich nickte zu früh; denn nachdem sich einige Gäste gestrafft, und das heißt: erwartungsvoll aufgesetzt hatten, trug die Hausfrau Platten mit blätterteigartigem Kranzkuchen auf, der gelblich schimmerte wie ein jütländisches Rapsfeld und gesprenkelt war von überschweren Rosinen.
Jeder wußte, was an der Reihe gewesen war, jeder langte sachlich zu; wen die rotierende Platte erreichte, der war verurteilt zu nehmen. Mit glänzenden, schorfähnlichen Krümeln an den Lippen, die das Wiener Broed nun einmal gern hinterläßt, stellten Nachbarn kurze Fragen, gaben kurze Antworten, ich konnte ihnen keine Aufmerksamkeit schenken, da ich angestrengt damit beschäftigt war, die drohend herankreisende Platte abzuwehren. Vergebens: Bei jedem Passieren geriet ein Stück fettigen, leicht gewärmten Kuchens auf meinen Teller und erinnerte mich unerbittlich an die Gesetze der Gastfreundschaft. Daß unser Kaffeedurst unstillbar sei, wurde einfach vorausgesetzt, schon dampfte die zweite, die dritte Tasse vor jedem Gast, der Duft Brasiliens erfüllte die jütländische Bauernstube, eine beginnende Magenschwere wurde aufgewogen durch unerwartete Hellhörigkeit und Schärfe des Gewahrens...
Doch kaum hatte ich mich zurückgelehnt, als ein Hügel von kränklicher Weiße gebieterisch auf mich zuschwebte, ein Gletscher, bedeckt mit bräunlichem Moränenschutt, waghalsig verziert mit Kirschen, die dem erstarrten Schaum sanft eingedrückt waren: die erste Großtorte....



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