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Aus der Welt der Literatur



2003-08-22
Wendekreis des Krebses (Henry Miller; Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH)

Mit diesem einst skandalumwitterten Buch, das jahrelang verketzert und verboten war, schlug der Autor schließlich eine Bresche in die vorherrschende Mauer aus Heuchelei und Prüderie.

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Textauszug:

Germaine war anders. Es war nichts an ihrer Erscheinung, was mir das verraten hätte. Nichts, was sie von den anderen Dirnen unterschied, die sich jeden Nachmittag und Abend im Café de L'Elephant zusammenfanden. Wie gesagt, es war ein Frühlingstag, und die paar Francs, die meine Frau zusammengekratzt hatte, um sie mir telegrafisch zu senden, klimperten in meiner Tasche. Ich hatte eine Art undeutlichen Vorgefühls, daß ich nicht die Bastille erreichen würde, ohne von einem dieser Bussarde ins Schlepptau genommen zu werden. Den Boulevard entlang schlendernd, hatte ich sie mit dem merkwürdigen Trippelschritt einer Hure, den schiefgetretenen Absätzen, dem billigen Schmuck und der teigigen Gesichgsfarbe ihrer Sorte, die durch das Rouge nur unterstrichen wird, auf mich zukommen sehen. Es war nicht schwer, mit ihr einig zu werden. Wir saßen in der Ecke des kleinen "tabac", das "L'Elephant" heißt, und besprachen es rasch. Ein paar Minuten später waren wir in einem Fünf-Francs-Zimmer in der Rue Amelot, die Vorhänge zugezogen und die Bettdecken zurückgeschlagen. Sie überhastete die Dinge nicht, Germaine. Sie saß auf dem Bidet, seifte sich ab und unterhielt sich mit mir freundlich über dies und jenes. Ihr gefielen die Kniehosen, die ich trug. "Trés chick!" fand sie. Das waren sie einmal, aber sie waren hinten durchgesessen; zum Glück bedeckte die Jacke meinen Hintern. Als sie aufstand, um sich abzutrocknen, immer noch freundlich mit mir plaudernd, warf sie das Handtuch hin, kam lässig auf mich zu und begann ihre Mieze liebevoll zu streicheln, sie mit beiden Händen zu tätscheln, zu liebkosen und zu beklofen. Es war ewas an ihrer Beredtheit in diesem Augenblick und der Art, wie sie mir diesen Rosenbusch unter die Nase hielt, was unvergeßlich bleibt. Sie sprach davon, als wäre es eine fremde Sache, die sie um teuren Preis erworben hatte, eine Sache, deren Wert mit der Zeit gestiegen war und die sie jetzt höher schätzte als alles in der Welt. Ihre Worte verliehen ihr einen eigenartigen Duft; sie war nicht mehr nur ihr privates Organ, sondern ein Schatz, ein magischer, mächtiger Schatz, ein gottgeschenktes Ding - und das nicht weniger so, weil sie es tagein, tagaus für ein paar Silberlinge verhandelte. Als sie sich mit weitgespreizten Beinen aufs Bett warf, liebkoste sie sie mit den Händen und streichelt sie wieder, wobei sie die ganz Zeit mit ihrer heiseren, gebrochenen Stimme murmelte, sie sei gut, schön, ein Schatz, ein kleiner Tresor. Und sie war auch wirklich gut, ihre kleine Mieze! An diesem Sonntagsnachmittag, mit seinem giftigen Frühlingshauch in der Luft, klappte wieder einmal alles. Als wir aus dem Hotel herauskamen, musterte ich sie noch einmal im harten Tageslicht und sah deutlich, was für eine Hure sie war - die Goldzähne, die Geranien auf ihrem Hut, die schiefgetretenen Absätze usw. usw. Sogar die Tatsache, daß sie ein Abendessen, Zigaretten und ein Taxi aus mir herausgeholt hatte, störte mich nicht im geringsten. Ich ermutigte sie vielmehr dazu. Sie gefiel mir so gut, daß wir nach dem Essen noch einmal zurück ins Hotel gingen und ich ihr noch einen verpaßte. Diesmal "aus Liebe". Und wieder übte ihr großes buschiges Ding seinen Reiz und seinen Zauber aus. Es begann ein unabhängiges Dasein zu haben - auch für mich. Da war Germaine, und da war ihr Rosenbusch. Ich liebte beide gesondert und liebte beide zusammen.



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