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Aus der Welt der Literatur



2016-01-15
Unterwerfung (Michel Houellebecq / Dumont / ISBN 3-8321-9795-7)

Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ wurde im März 2015 im „Literarischen Café“ zum Buch des Monates erklärt. Damals hieß es in der Kurzrezension:

„Als Michele Houellebecq sein Buch über die von ihm angesagte Islamisierung Frankreichs veröffentlichte, ahnte er nicht, wie nahe er nach wenigen Tagen in der Realität angekommen sein würde. (Anmerkung der Redaktion: Es geschah der Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitung „Charlie Hebdo“.)
Ein Seher? Ein Visionär? Ein Tollkühner? Ein Analyst? Ein Träumer? Ein Spinner? Ein Reaktionär?

Er, der wohl von allem etwas in sich trägt, ist nun so gut wie verschwunden, abgetaucht, auf der Flucht vor den Repressalien, die seine ihm urplötzlich erwachsenden Gegner und Ablehner möglicherweise anzutun bereit sind.“

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Im genannten Roman schreibt Houellebecq quasi nebenbei noch bemerkenswerte Sätze über die Eigenart, über die Mystik, die Fähigkeit, den Charakter der Literatur an sich, stellt sie in diesem Kontext an die Spitze aller Kunstrichtungen, wenn es um die Annäherung, an die Zwiesprache mit den Menschen geht, die sich ihr widmen und auf sie eingehen, dich sich auf sie einzulassen bereit sind:





Textauszug:


Über die Literatur ist vieles, vielleicht zu vieles geschrieben worden (als Literaturwissenschaftler steht mir dieses Urteil mehr als jedem anderen zu), dabei ist die spezifische Besonderheit der Literatur, der hohen Kunst der westlichen, vor unseren Augen untergehenden Welt nicht schwierig zu bestimmen. Die Musik kann im selben Maße wie die Literatur erschüttern, eine gefühlsmäßige Umkehr, Traurigkeit oder absolute Ekstase bewirken; die Malerei kann im selben Maße wie die Literatur verzücken, einen neuen Blick auf die Welt eröffnen. Aber allein die Literatur vermittelt uns das Gefühl von Verbundenheit mit einem anderen menschlichen Geist, mit allem, was diesen Geist ausmacht, mit seinen Schwächen und seiner Größe, seinen Grenzen, seinen Engstirnigkeiten, seinen fixen Ideen, seinen Überzeugungen; mit allem, was ihn berührt, interessiert, erregt oder abstößt.

Allein die Literatur erlaubt uns, mit dem Geist eines Toten in Verbindung zu treten, auf direkte, umfassendere und tiefere Weise, als das selbst in einem Gespräch mit einem Freund möglich wäre – denn so tief und dauerhaft eine Freundschaft sein mag, niemals liefert man sich in einem Gespräch so restlos aus, wie man sich einem leeren Blatt ausliefert, das sich an einen unbekannten Empfänger richtet. Natürlich sind, wenn es um Literatur geht, die Schönheit des Stils, die Musikalität der Sätze von Wichtigkeit. Die Tiefe und Originalität der Gedanken des Autors sind nicht unwesentlich; aber ein Autor ist zuvorderst ein Mensch, der in seinen Büchern gegenwärtig ist; ob er gut schreibt oder schlecht, ist dabei zweitrangig, die Hauptsache ist, daß er schreibt und wirklich in seinen Büchern präsent ist. (Es ist seltsam, daß ein scheinbar so geringfügiger Umstand in Wahrheit so tiefgreifend ist und daß diese offenkundige, leicht festzustellende Tatsache von den Philosophen der verschiedenen Richtungen kaum erschlossen wurde: Weil Menschen aufgrund ihrer Natur grundsätzlich die gleiche Quantität von Sein besitzen, sind sie alle mehr oder weniger gleich gegenwärtig. Und doch ist das nicht der Eindruck, den sie über einige Jahrhunderte hinweg vermitteln; zu oft kann man beobachten, wie ein schemenhaftes Wesen in den mehr vom Zeitgeist als von der eigenen Persönlichkeit diktierten Seiten zunehmend zerfasert, immer geisterhafter und ungekannter wird.)
Ein Buch, das man mag, ist zudem vor allem ein Buch, dessen Autor man mag, dem man gern begegnet, mit dem man gern seine Tage verbringt. …





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