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Aus der Welt der Literatur



2012-12-16
Verwirrung der Gefühle (Stefan Zweig / Fischer Taschenbuch Verlag / ISBN 3596257904 )

Mit seinen Novellen und Erzählungen erlangte Stefan Zweig Weltruhm; als Romancier trat er hingegen weniger auffällig in Erscheinung. Zweig war gebürtiger Österreicher, Jude, emigrierte 1934 in Weitsicht des Kommenden nach England, zog von dort nach kurzer Zwischenstation in New York 1941 nach Brasilien, wo er 1942 gemeinsam mit seiner zweiten Frau den Freitod wählte. Im nationalsozialistischen Deutschland landeten seine Bücher auf den monströsen Scheiterhaufen unerwünschter, verbotener Literatur.

Auch wenn manche Kritiker in zahlreichen Werken Zweigs eine starke erotische Ausprägung erkennen wollen, und so ganz von der Hand zu weisen ist diese Feststellung nicht, so sollte bei dieser Betrachtung nicht übersehen werden, daß seine Sprache eine kultivierte bleibt, die mit Andeutungen, mit Umschreibungen arbeitet, darüber hinaus jedoch keineswegs erotische Obsessionen die Texte dominieren.

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Aus dem erwähnten Buch „Verwirrung der Gefühle“, in dem acht seiner bekannteren Erzählungen bzw. Novellen versammelt sind, hier ein Textauszug:



"Geschichte in der Dämmerung"

(Ein fünfzehnjähriger Junge weilt im Sommer auf dem herrschaftlichen Landsitz seiner inzwischen verheirateten Schwestern. In einer Nacht treibt ihn die anhaltende Wärme hinab in den Garten des Schlosses, wo es für den Heranwachsenden zu einer ihn gleichermaßen ängstigenden wie erregenden Begegnung kommt.)



......... Langsam geht der Knabe aus der breiten, offenen Allee in einen der schmalen Seitengänge, wo sich die Bäume hoch oben mit silbern bestrahlten Kronen zu umarmen scheinen, unten aber nachtschwer das Dunkel liegt. Ganz still ist es. Nur jenes unbeschreibliche Getön der Stille in einem Garten, jenes summende Schwingen, als fiele ein weicher Regen ins Gras oder streiften die Halme hellsurrend einander, weht an den Schreitenden heran, der ganz verloren ist in süßer unfaßbarer Schwermut. Manchmal rührt er leise einen Baum an oder bleibt stehen, um dem flüchtigen Getön nachzulauschen: der Hut drückt ihm die Stirne, und so legt er ihn ab, um an den nackten Schläfen, wo sein Blut klingt, die Hand des schläfrigen Windes zu fühlen.

Da, mit einem Male, wie er tiefer in das Dunkel tritt, geschieht etwas Unerhörtes. Hinter ihm knirscht leise der Kies. Und da er sich erschreckt umwendet, sieht er nur noch das flatternde Leuchten einer hohen weißen Gestalt auf sich zu, und schon an ihm, und erschrocken fühlt er sich stark und doch ohne jede Gewalt von einer Frau umfangen. Ein warmer, weicher Körper preßt sich drängend an den seinen, eine Hand streift rasch und schaudernd über sein Haar und beugt seinen Kopf zurück: taumelnd fühlt er an seinem Mund eine fremde, aufgetane Frucht, zitternde Lippen, die sich in die seinen einsaugen. So nahe ist dieses Gesicht dem seinen, daß er die Züge nicht sehen kann. Und er wagt es nicht, denn wie Schmerz schlägt Schauer seinen Leib, daß er die Augen schließen muß und sich willenlos als Beute diesen brennenden Lippen hingeben; unentschlossen, unsicher wie eine Frage, fassen seine Arme nun diese fremde Gestalt, und jäh berauscht preßt er den fremden Leib an sich. Gierig fließen seine Hände die weichen Linien entlang, ruhen und zittern wieder fort, werden fiebriger und empörter. Immer drängender und schon übergebeugt, eine selig schwere Bürde, ruht jetzt die ganze Last des Körpers über seiner nachgebenden Brust. Er fühlt sich irgendwie sinken und hinströmen unter diesem schwer atmenden Drängen, und schon brechen seine Knie. An nichts denkt er, nicht, wie diese Frau zu ihm kam, und nicht, wie ihr Name ist, er trinkt nur mit geschlossenen Augen von diesen fremden duftfeuchten Lippen die Begehrlichkeit in sich, bis er trunken ist, willenlos, sinnlos hintreibend in eine ungeheure Leidenschaftlichkeit. Ihm ist, als seien plötzlich Sterne niedergestürzt, so ein Flimmern ist vor seinen Augen, und wie Funken zittert alles und brennt, was er berührt. Und er weiß nicht, wie lange all dies dauert, ob es Stunden sind, daß er so weich umkettet ist, oder Sekunden: alles fühlt er auflodern in dem wilden Gefühl des wollüstigen Kampfes und wegtreiben, hintaumeln in eine wunderbare Schwindligkeit.
Und dann plötzlich, mit einem Ruck, zerbricht die heiße Kette. Jäh, fast erbost, läßt die Umklammerung seine umpreßte Brust, die fremde Gestalt richtet sich auf, und schon fließt, hell und schnell, ein weißer Lichtstreif an den Bäumen vorbei und ist wieder fort, ehe er die Hände heben konnte, ihn zu haschen.





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