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Aus der Welt der Literatur



2010-06-13
Erklär mir, Liebe (Ingeborg Bachmann / Sämtliche Gedichte / Pieper Verlag / ISBN 3-492-23985-1)

Oft wird Ingeborg Bachmann (1926 – 1973) in selben Atemzug mit Gottfried Benn genannt. Ihre Schmerzenslyrik, ihre Verzweiflung über die Unvollkommenheit, die Vergeblichkeit und Unzulänglichkeit allen menschlichen Tuns ziehen sich bei ihr wie bei Benn durch das gesamte Werk, finden – wie bei nicht wenigen großen Lyrikerinnen – eine deutliche Entsprechung im eigenen Leben.

Mit siebenundzwanzig Jahren verließ sie, die nach dem Studium über Heidegger promovierte, ihre als Enge empfundene Heimat im österreichischen Kärnten, landete nach einigen Zwischenstationen schließlich in Rom. Sie unterhielt Beziehungen zu Paul Celan und Max Frisch, hatte Affären mit weiteren Männern, doch zu einer dauerhaften Bindung kam es zu keiner Zeit. Ihr Leben währte nur 47 Jahre und endete auf besonders tragische Weise. Sie schlief mit brennender Zigarette ein und erlitt Brandverletzungen, an denen sie nach dreiwöchiger Qual am 17.10.1973 in ihrer Wahlheimatstadt Rom starb. Auf dem Friedhof ihrer Geburtsstadt Klagenfurt liegt sie begraben.

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Erklär mir, Liebe (Ingeborg Bachmann)


Dein Hut lüftet sich leis, grüßt, schwebt im Wind,
dein unbedeckter Kopf hat´s Wolken angetan,
dein Herz hat anderswo zu tun,
dein Mund verleibt sich neue Sprachen ein,
das Zittergras im Land nimmt überhand,
Sternblumen bläst der Sommer an und aus,
von Flocken blind erhebst du dein Gesicht,
du lachst und weinst und gehst an dir zugrund,
was soll dir noch geschehen –

Erklär mir, Liebe!

Der Pfau, in feierlichem Staunen, schlägt sein Rad,
die Taube stellt den Federkragen hoch,
vom Gurren überfüllt, dehnt sich die Luft,
der Entrich schreit, vom wilden Honig nimmt
das ganze Land, auch im gesetzten Park
hat jedes Beet ein goldner Staub umsäumt.

Der Fisch errötet, überholt den Schwarm
und stürzt durch Grotten ins Korallenbett.
Zur Silbersandmusik tanzt scheu der Skorpion.
Der Käfer riecht die Herrlichste von weit;
hätt ich nur seinen Sinn, ich fühlte auch,
daß Flügel unter ihrem Panzer schimmern,
und nähm den Weg zum fernen Erdbeerstrauch!

Erklär mir, Liebe!

Wasser weiß zu reden,
die Welle nimmt die Welle an der Hand,
im Weinberg schwillt die Traube, springt und fällt.
So arglos tritt die Schnecke aus dem Haus!

Ein Stein weiß einen andern zu erweichen!

Erklär mir, Liebe, was ich nicht erklären kann:
sollt ich die kurze schauerliche Zeit
nur mit Gedanken Umgang haben und allein
nichts Liebes kennen und nichts Liebes tun?
Muß einer denken? Wird er nicht vermißt?

Du sagst: es zählt ein andrer Geist auf ihn ...
Erklär mir nichts. Ich seh den Salamander
durch jedes Feuer gehen.
Kein Schauer jagt ihn, und es schmerzt ihn nichts.





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