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Aus der Welt der Literatur



2010-03-21
The Go-Between (L. P. Hartley / Suhrkamp Verlag / ISBN 3-518-46153-2)

Ein heißer Sommer überzieht den Landsitz, auf dem ein Halbwüchsiger zufällig weilt, dort die Ferien mit seinem adeligen Schulkameraden im Kreise dessen Familie und ihrem sonderbaren, ihm fremden Umfeld verlebt. Bald schon bahnt sich Unheil an, unaufhaltsam gerät der gerade erst dem Kindesalter entwachsende Junge ungewollt in ein Geflecht aus Heimlichkeiten und Abhängigkeiten, gegen die er sich nicht zur Wehr setzen kann. Der Autor versteht es meisterhaft, die aufkommende Gefahr atmosphärisch umzusetzen, die sich wie ein schleichendes Gift über die sonnigen, unbeschwerten Tage zu legen beginnt. Hierzu bedient er sich auch der Begegnung mit einer düsteren, rätselhaften Pflanze.

„Die Vergangenheit ist ein fremdes Land, dort gelten andere Regeln“, beginnt L. P. Hartley (1895 – 1972) seinen Roman, der inzwischen auch in deutscher Sprache unter seinem Originaltitel in voller Länge vorliegt und als sein Hauptwerk betrachtet werden kann. Das Buch kam 1953 heraus, wurde anschließend zwar bereits ins Deutsche übersetzt („Der Zoll des Glücks“, „Ein Sommer in Brandham Hall“), doch diese Ausgaben litten neben manch anderen Unzulänglichkeiten stark unter den nicht unerheblichen Textkürzungen.

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Textauszug:

Wir gingen schweigend nebeneinanderher, und ab und zu hüpften wir, um die Spannung herabzumindern und unsere erhitzten Gemüter abzukühlen. Da sah ich plötzlich etwas, das mir einen eisigen Schauer einjagte.
Wir konnten nun den Schuppen, in dem die Schwarze Tollkirsche wuchs, sehen; und die Schwarze Tollkirsche kam aus der Tür.
Sekundenlang glaubte ich tatsächlich, es sei ihr die Fähigkeit verliehen worden, sich fortzubewegen und sie komme auf uns zu. Dann erklärte sich das Phänomen: Seit meinem letzten Besuch war der Busch derart gewachsen, daß ihm der Schuppen zu eng geworden war. An der Schwelle, die er versperrte, blieben wir stehen und spähten ins Innere. Marcus wollte sich an der Pflanze vorbei in den Schuppen zwängen: „Oh, nicht“, flüsterte ich, und er lächelte und trat zurück. Das war der Augenblick unserer Versöhnung.

Der Busch hatte sich erstaunlich ausgebreitet; er überwucherte die Wände, die kein Dach mehr trugen, drängte sich beim Versuch, einen Auslaß zu finden, in ihre Ritzen, angetrieben von einer geheimen, explosiven Kraft, von der ich fühlte, daß sie diese Wände sprengen würde. Er war durch die Hitze, die alles übrige verdorrt hatte, zu üppiger Entfaltung gelangt. Seine Schönheit, deren ich mir wohl bewußt war, schien mir zu überladen, in jeder Einzelheit zu herausfordernd. Die unheilverkündenden, schweren, purpurnen Blütenglocken, die dreisten, schwarzglänzenden Beeren verhießen mir etwas, was ich nicht haben wollte. „Alle anderen Pflanzen“, dachte ich, „blühen für das Auge. Im Anschauen offenbart sich ihre Vollkommenheit: Das Geheimnis des Wachstums manifestiert sich in ihnen, unergründlich und doch so einfach!“

Aber diese Pflanze schien etwas im Schilde zu führen, sie schien ein fragwürdiges Spiel mit sich selbst zu treiben. Sie war ohne Harmonie, ohne jede Proportion. Sie zeigte alle Stadien ihrer Entwicklung auf einmal. Sie war gleichzeitig jung, reif und alt. Nicht nur, daß sie ihre Früchte und Blüten zur selben Zeit trug, auch in der Größe ihrer Blätter bestand ein seltsamer Unterschied. Einige waren nicht länger als mein kleiner Finger, andere viel länger als meine Hand. Sie lud zur näheren Betrachtung ein und stieß gleichzeitig ab, als berge sie ein dunkles Geheimnis, von dem sie aber doch wünsche, daß man es erfahre. Draußen begann die Dämmerung hereinzubrechen, aber drinnen im Schuppen war es bereits Nacht.





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