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Aus der Welt der Literatur



2010-01-25
Kommt einer von ferne (Nelly Sachs)

Nelly (Leonie) Sachs (geb. 1891 in Berlin als Kind eines jüdischen Fabrikanten, gest. 1970 in Stockholm) legt in eindrucksvoller Weise Zeugnis ab für die schrecklichen Heimsuchungen jener Autorinnen und Autoren, die ihre Heimat aus Furcht vor Verfolgung und Vernichtung verlassen mußten und fortan über ihr eigenes Schicksal, mehr noch über das von Mitbetroffenen schrieben, somit für die Nachwelt das Genre der Exil-Literatur schlechthin verkörpern.

In ihrer Geburtsstadt Berlin blieb Nelly Sachs, zeitlebens schwach und kränklich, bis zum bitteren Ende 1940, als sie und ihre Mutter – der Vater starb bereits 1930 – in letzter Minute durch die Unterstützung deutscher und schwedischer Freunde vor den Häschern der Nationalsozialisten nach Schweden flüchten konnten. Den Deportationsbefehl in den sicheren Untergang hatten sie zu diesem Zeitpunkt bereits erhalten.

Erst zwanzig Jahre später, 1960, überwand Nelly Sachs ihre Angst und betrat wieder deutschen Boden, um eine literarische Ehrung entgegenzunehmen. Seit 1953 war sie schwedische Staatsbürgerin. Am 10. Dezember 1966 erhielt sie, gemeinsam mit Samuel Joseph Agnon, den Literaturnobelpreis, dessen Preisgeld sie an Bedürftige und eine ihrer maßgeblichen einstigen Fluchthelferinnen verschenkte. Sie war nie verheiratet, unterhielt wohl einige Beziehungen und Freundschaften, darunter Namen wie Paul Celan und Stefan Zweig. Ein ganz besonderes Verhältnis pflegte sie zu Selma Lagerlöf, mit der sie eine jahrzehntelange Brieffreundschaft verband. Zu einer Begegnung zwischen den beiden Frauen kam es nicht, denn Selma Lagerlöf starb, kurz bevor ihre deutsche Bewunderin das rettende Schweden erreichte.

Verzweiflung und Schmerz, Verlust und Tod prägten ihr gesamtes Leben und durchziehen gleichsam ihr schriftstellerisches Werk wie eine dunkle, untilgbare Spur, manifestieren sich als eine unüberhörbare Klage über das Schicksal ihres gemarterten Volkes. Am 12. Mai 1970 starb Nelly Sachs in Stockholm. Auf einem jüdischen Friedhof im Norden der Stadt liegt sie begraben.

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Kommt einer von ferne


Kommt einer
von ferne
mit einer Sprache
die vielleicht die Laute
verschließt
mit dem Wiehern der Stute
oder
dem Piepen
junger Schwarzamseln
oder
auch wie eine knirschende Säge
die alle Nähe zerschneidet

Kommt einer
von ferne
mit Bewegungen des Hundes
oder
vielleicht der Ratte
und es ist Winter
so kleide ihn warm
kann auch sein
er hat Feuer unter den Sohlen
(vielleicht ritt er
auf einem Meteor)
so schilt ihn nicht
falls dein Teppich durchlöchert schreit -

Ein Fremder hat immer
seine Heimat im Arm
wie eine Waise
für die er vielleicht nichts
als ein Grab sucht.




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