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Aus der Welt der Literatur



2009-06-23
Die Glut (Sándor Márei / Piper Verlag / ISBN 3-492-25384-0)

Erst gut ein Jahrzehnt nach seinem Freitod 1989 wurde Sándor Márei international bekannt und gewürdigt, nicht zuletzt durch den Roman "Die Glut“ (1942); seine über viele Jahre gewählte Selbstisolation und Zurückgezogenheit führten dazu, daß er über die engere Fachwelt und sein Heimatland hinaus kaum wahrgenommen wurde.

Als Sándor Grossschmied de Mára 1900 im damaligen Königreich Ungarn geboren, trieb es ihn anschließend ruhelos durch die Welt. In Leipzig und Frankfurt studierte er eine Weile Journalistik, kehrte nach Ungarn zurück, floh vor den Nationalsozialisten – seine Frau war Jüdin – in den Untergrund, um nach Zwischenstationen in Frankreich, Italien und der Schweiz schließlich in den USA zu landen. Doch im Herzen blieb er immer seiner ungarischen Heimat verbunden.

Seit geraumer Zeit erlebt Sándor Márei eine literarische Wiederauferstehung; namhafte Verlage bringen Neuauflagen seiner bekannteren Arbeiten heraus. Zweifellos eine Hommage an einen der erst spät erkannten großen Literaten des vergangenen Jahrhunderts, eine Verbeugung vor seiner ausdrucksstarken, bildnishaften und auch weisen Sprache.

(„Mag sein, daß die Einsamkeit den Menschen zerstört, so wie sie Pascal, Hölderlin und Nietzsche zerstört hat. Aber dieses Scheitern, dieser Bruch sind eines denkenden Menschen noch immer würdiger als die Anbiederung an eine Welt, die ihn erst mit ihren Verführungen ansteckt, um ihn dann in den Graben zu werfen … bleib allein und antworte …“ Sándor Márei)

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Eine mehr als zwei Jahrzehnte währende, bereits in der Jugend begonnene Männerfreundschaft endet abrupt am Ende eines gemeinsamen Jagdausfluges. Einer der Männer reist plötzlich unerwartet ab, zurück bleiben der begüterte, adelige Freund und dessen Frau auf ihrem herrschaftlichen Gut.
Nach einundvierzig Jahren treffen die einstigen Freunde, inzwischen dem Greisenalter nahe, wieder aufeinander, am alten Sitz des Adeligen, auf Wunsch des damals völlig unerwartet verschwundenen Mannes. Die wesentlich jüngere Frau des Adeligen starb bereits nur wenige Jahre nach dem seinerzeitigen seltsamen Vorfall. Ein düsteres Geheimnis, so scheint es, lastet auf den beiden Männern, die sich gegenübersitzen, wohlwissend, für die Dauer einer Nacht. Ein Gespräch beginnt, mehr ein Monolog, auf den sich der Adelige vierzig Jahre lang vorbereitete....





Textauszüge:


......Das ist der Augenblick, da nicht nur im Dickicht der Wälder, sondern auch im Dunkeln der Menschenherzen etwas geschieht. Denn auch das Herz hat seine Nacht und seine Regungen, die so wild sind wie der Jagdinstinkt des Wolfes oder des Hirsches. Traum, Sehnsucht, Eitelkeit, Selbstsucht, Liebestollheit, Neid und Rachsucht lauern in der menschlichen Nacht wie der Puma, der Geier und der Schakal in der Wüstennacht. Es ist der Augenblick, da es im menschlichen Herzen weder Nacht noch Tag ist, da die wilden Tiere aus den geheimen Winkeln der Seele herausgekrochen sind, da sich etwas in unseren Herzen regt und dann auch unsere Hände bewegt, etwas, das wir jahrelang, vielleicht sogar jahrzehntelang meinen gezähmt und dressiert zu haben ... Es war alles vergebens, umsonst haben wir die wahre Bedeutung dieser Regung vor uns selbst geleugnet: sie war stärker als unsere Absichten, sie ließ sich nicht auflösen, sie blieb fest. .......


...... Es braucht eine lange Zeit, viele einsame Stunden, um mich zu lehren, daß es immer nur darum geht, daß es zwischen Männern und Frauen, unter Freunden und Bekannten immer um dieses Anderssein geht, daß die Menschheit in zwei Parteien spaltet. Manchmal glaube ich schon, daß es auf der Welt nur diese beiden Parteien gibt und daß alle Klassenunterschiede, alle Schattierungen der Weltanschauung, der Machtverhältnisse nur Varianten dieses Andersseins sind. Und so wie nur Menschen der gleichen Blutgruppe einander in der Gefahr beistehen können, so vermag eine Seele der anderen nur dann zu helfen, wenn diese nicht „anders“ ist, wenn ihre jenseits von Ansichten und Überzeugungen liegende geheimste Wirklichkeit ähnlich ist ... Und da, in Arco, wurde mir bewußt, daß das Fest zu Ende war, daß auch Krisztina „anders“ war. Und mir ist in den Sinn gekommen, was mein Vater gesagt hatte, der keine Bücher las, den die Einsamkeit und das Leben aber gelehrt hatten, die Wahrheit zu erkennen, ja, er wußte von dieser Zweiheit, auch er war einer Frau begegnet, die er sehr liebte, an deren Seite er aber trotzdem einsam blieb, weil sie zweierlei Menschen waren, zweierlei Temperamente, zweierlei Lebensrhythmen, denn auch meine Mutter war „anders“, so wie du und Krisztina ... Und in Arco ist mir noch etwas klargeworden. Das Gefühl, das mich mit meiner Mutter, mit dir und Krisztina verband, war immer das gleiche, die gleiche Sehnsucht, die gleiche suchende Hoffnung, das gleiche hilflose, traurige Wollen. Denn immer lieben wir den „anderen“, immer suchen wir ihn, in sämtlichen Umständen und Wechselfällen des Lebens ... Weiß du das schon? Das größte Geheimnis und das größte Geschenk des Lebens besteht darin, daß sich zwei „gleichartige“ Menschen begegnen. .....



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