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Aus der Welt der Literatur



2007-07-09
Peter Camenzind (Hermann Hesse / Suhrkamp / ISBN 978-3-518-45850-1)

Schon in seinem ersten Roman „Peter Camenzind“ (erschienen 1904) beschäftigt sich Hesse in der Form des Ich-Erzählers über lange Strecken ausführlich mit den frühen Jahren eines Lebens, mit Kindheit und Jugend. Und es sollte nicht sein einziges Werk bleiben, das unübersehbar in starkem Maße autobiographisch geprägt ist.
Hesse neigte häufig zu einem eher schwerblütigen, ernsten Stil, zu bedächtiger Wortwahl. Daß er auch leichter, humorvoller daherkommen konnte, zeigt sich in den folgenden Textpassagen.

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Textauszug:


........und ich sah wieder den Vater in Hemdärmeln mit dem Pinsel hantieren, sah die bläulichen Wölkchen aus seiner Pfeife in die stillen Sommerlüfte steigen und die blitzgelben Falter ihre unsicheren, scheuen Flüge tun. An solchen Tagen zeigte mein Vater eine ungewöhnlich behagliche Laune, pfiff Triller, was er vortrefflich konnte, und gab vielleicht sogar einen einzelnen, kurzen Jodler von sich, diesen jedoch nur halblaut. Die Mutter kochte alsdann etwas Gutes auf den Abend, und ich denke mir jetzt, sie tat es in der stillen Hoffnung, Camenzind möchte diesen Abend nicht ins Wirtshaus gehen. Er ging aber doch.

Daß die Eltern die Entwicklung meines jungen Gemütes sonderlich gefördert oder gestört hätten, kann ich nicht sagen. Die Mutter hatte immer beide Hände voll Arbeit, und mein Vater hatte sich gewiß mit nichts auf der Welt so wenig beschäftigt als mit Erziehungsfragen. Er hatte genug zu tun, seine paar Obstbäume kümmerlich im Stand zu halten, das Kartoffeläckerlein zu bestellen und nach dem Heu zu sehen.

Ungefähr alle paar Wochen aber nahm er mich abends, ehe er ausging, bei der Hand und verschwand stillschweigend mit mir auf dem über dem Stall gelegenen Heuboden. Dort vollzog sich alsdann ein seltsamer Straf- und Sühneakt: ich bekam eine Tracht Prügel, ohne daß der Vater oder ich selbst genauer gewußt hätte, wofür. Es waren stille Opfer am Altar der Nemesis, und sie wurden ohne Schelten seinerseits oder Geschrei meinerseits dargebracht als schuldiger Tribut an eine geheimnisvolle Macht. Immer, wenn ich in späteren Jahren einmal vom “blinden“ Schicksal reden hörte, fielen diese mysteriösen Szenen mir wieder ein und schienen mir eine überaus plastische Darstellung jenes Begriffs zu sein. Ohne es zu wissen, befolgte mein guter Vater dabei die schlichte Pädagogik, die das Leben selbst an uns zu üben pflegt, indem es uns hie und da aus heiteren Lüften ein Donnerwetter sendet, wobei es uns überlassen bleibt nachzusinnen, durch was für Missetaten wir eigentlich die oberen Mächte herausgefordert haben. Leider stellte dies Nachsinnen bei mir sich nie oder nur selten ein, vielmehr nahm ich jene ratenweise Züchtigung ohne die wünschenswerte Selbstprüfung gelassen oder auch trotzig hin und freute mich an solchen Abenden stets, nun wieder meinen Zoll entrichtet und ein paar Wochen Strafpause vor mir zu haben.

Viel selbständiger trat ich den Versuchen meines Alten, mich zur Arbeit anzuleiten, entgegen. Die unbegreifliche und verschwenderische Natur hatte in mir zwei widerstrebende Gaben vereinigt: eine ungewöhnliche Körperkraft und eine leider nicht geringere Arbeitsscheu. Der Vater gab sich alle Mühe, einen brauchbaren Sohn und Mithelfer aus mir zu machen, ich aber drückte mich mit allen Schikanen um die mir auferlegten Arbeiten, und noch als Gymnasiast hatte ich für keinen der antiken Heroen so viel Mitgefühl wie für Herakles, da er zu jenen berühmten, lästigen Arbeiten gezwungen ward. Einstweilen kannte ich nichts Schöneres, als mich auf Felsen und Matten oder am Wasser müßiggängerisch herumzutreiben.
Berge, See, Sturm und Sonne waren meine Freunde, erzählten mir und erzogen mich und waren mir lange Zeit lieber und bekannter als irgend Menschen und Menschenschicksale. Meine Lieblinge aber, die ich dem glänzenden See und den traurigen Föhren und sonnigen Felsen vorzog, waren die Wolken.



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