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Aus der Welt der Literatur
2007-07-03 | Erinnerungen (Rainer Maria Rilke) |
Hätte es sich nicht tatsächlich zugetragen, man wäre versucht, es für einen berührenden Romanstoff zu halten, nicht weit entfernt von den Unwahrscheinlichkeiten und Künstlichkeiten der Herz-Schmerz-Literatur. Doch mitunter schreibt das Leben Geschichten, wie sie sich kein Autor fantasievoller hätte ausdenken können:
Nach quälend langer Zeit überwinden sich die Eltern, jenen Ort aufzusuchen, wo sie ihren Sohn verloren. Er kam beim Bergsteigen um, stürzte beim Klettern in den Tod.
Bergretter wissen zu berichten, was Stürze aus großen Höhen mit einem Menschen anrichten, was sie von ihm lassen. Auch der Rucksack des Sohnes wurde zerfetzt, nichts blieb heil. Bis auf ein Blatt Papier mit Rilkes Gedicht, das der Verunglückte mit sich trug.
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Erinnerung
Und du wartest, erwartest das Eine,
das dein Leben unendlich vermehrt;
das Mächtige, Ungemeine,
das Erwachen der Steine,
Tiefen, dir zugekehrt.
Es dämmern im Bücherständer
die Bände in Gold und Braun;
und du denkst an durchfahrene Länder,
an Bilder, an die Gewänder
wiederverlorener Fraun.
Und da weißt du auf einmal: das war es.
Du erhebst dich, und vor dir steht
eines vergangenen Jahres
Angst und Gestalt und Gebet.
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