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Aus der Welt der Literatur



2007-06-27
Himmel und Erde (Sándor Márai / Piper / ISBN 3-492-04284-8)

Erst gut ein Jahrzehnt nach seinem Freitod 1989 wurde der Autor international bekannt, nicht zuletzt durch den Roman „Die Glut“. Als Sándor Grossschmied de Mára 1900 im damaligen Königreich Ungarn geboren, trieb es ihn anschließend ruhelos durch die Welt. In Leipzig und Frankfurt studierte er eine Weile Journalistik, kehrte nach Ungarn zurück, floh vor den Nationalsozialisten – seine Frau war Jüdin – in den Untergrund, um nach Zwischenstationen in Frankreich, Italien und der Schweiz schließlich in den USA zu landen. Doch im Herzen blieb er immer seiner ungarischen Heimat verbunden.
Márai war ein großer Erzähler, auch Romancier. Im vorliegenden Buch schreibt er seine literarischen Betrachtungen über die Welt und – mehr noch – über ihre Menschen nieder, über ihr Glück, über ihren Schmerz. Vor allem schreibt er über seine eigene Sicht der Dinge, doch im Grunde über und für uns alle. In kleinen, oft wunderschönen Prosastücken. Manchmal nur wenige Sätze lang, doch lang genug,
um uns für einen Augenblick über das Buch hinweg in die Ferne schauen zu lassen.

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Textauszug:


Die Wand

Was für ein kluger, vielseitig gebildeter, feinfühliger Mensch! Emphatisch fange ich eine Unterhaltung mit ihm an. Er antwortet präzise, lacht an den richtigen Stellen und wird an den passenden Stellen ernst. Ich gebe mir Mühe, nehme all meine Fähigkeiten zusammen, lege einen Pfeil auf den Bogen und achte darauf, das Ziel nicht zu verfehlen: Klopfenden Herzens hoffe ich, daß er der Mensch ist, daß auch er diese Art Mensch ist.
Und nach einer Viertelstunde merke ich, er ist doch nicht dieser Mensch. Warum? Ich weiß es nicht. Er zeigt sich genauso gebildet, klug, vielseitig und feinfühlig wie vor einer Viertelstunde. Lacht immer noch an den passenden Stellen oder wird ernst, wo es angebracht ist – aber ich habe inzwischen gemerkt, daß wir an der Grenze angelangt sind, wo er mir nicht mehr folgen kann, wo er kein Gehör mehr für mich hat, wo er taub und blind für mich ist – als ob jedes meiner Worte auf eine Wand prallen würde. Deshalb schweige ich, verstimmt. Argwöhnisch schweigt auch er. Dann schütteln wir uns die Hände, und jeder geht seines Weges.





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