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Aus der Welt der Literatur



2007-05-29
Der mit dem Wolf tanzt (Michael Blake / Bastei-Lübbe Verlag / ISBN 3-404-13348-X)

Es gibt Bücher, die von der Handlung leben und wiederum andere, die ihre Faszination aus den Worten, aus der Textkomposition beziehen. Im besten Falle finden sich beide Bestandteile eines Buches zu einer beglückenden Symbiose. Michael Blake ist das mit seinem Roman „Der mit dem Wolf tanzt“ in imponierender Form gelungen. Die Art und Weise, wie er schreibt (und übersetzt wurde) ist nicht unbedingt große Literatur. Doch der erzählten Geschichte tut das keinerlei Abbruch. Blake schuf mit diesem Buch einen Welterfolg. Er schrieb auch das Drehbuch zum grandiosen Film mit Kevin Costner in der Rolle des Lieutenant John J. Dunbar. Auf vorgeschobenem, einsamem Posten im Indianerland findet ein sonderbarer, friedlicher Wolf zu ihm, weicht fortan nicht mehr von seiner Seite. Und er lernt, weitab aller Klischees, Indianer kennen und verstehen, wird am Ende einer der Ihren.

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Textauszug:


Der Lieutenant sprang vom Pferd und schaute zu „Zwei Strümpfe“ (Anmerkung: Dunbar nannte den Wolf so wegen seiner auffälligen Verfärbung an den Vorderbeinen). Auf die übliche Art hatte der Wolf ebenfalls angehalten. Als Cisco den Kopf senkte, um Gras zu knabbern, begann Dunbar in Richtung Wolf zu gehen. Er dachte, der Wolf würde dadurch gezwungen, sich zurückzuziehen. Doch der Kopf und die Ohren des Wolfes, die über das Gras ragten, bewegten sich nicht, und als der Lieutenant schließlich stehenblieb, war er nur noch einen Schritt entfernt.
Der Wolf neigte den Kopf erwartungsvoll, blieb sonst jedoch reglos, als Dunbar in die Hocke ging.
„Ich bezweifle, daß du willkommen bist, wo ich hinreite“, sagte Dunbar laut, als unterhalte er sich mit einem vertrauten Nachbarn.
Er blickte zur Sonne empor. „Es wird ein heißer Tag. Warum gehst du nicht heim?“
Der Wolf hörte aufmerksam zu, regte sich jedoch immer noch nicht.
Der Lieutenant wippte auf seinen Füßen.
„Komm, Zwei Strümpfe, geh heim“, sagte er gereizt.
Er versuchte, den Wolf mit einer Geste wegzuscheuchen, und Zwei Strümpfe huschte zur Seite.
Er verscheuchte ihn von neuem.
Der Wolf sprang ein Stück zur Seite, aber offenkundig wollte er nicht heimgehen.
„Also gut“, sagte Dunbar, „wenn du nicht heimkehren willst, dann bleibst du eben hier.“
Er unterstrich das, indem er tadelnd mit dem Finger drohte und eine Kehrtwendung machte. Dann hörte er es. Es war nicht laut, sondern leise und klagend und unverkennbar.
Ein Heulen.
Der Lieutenant fuhr herum, und da war Zwei Strümpfe. Er hatte die Schnauze erhoben, blickte den Lieutenant an und heulte wie ein schmollendes Kind.
Für einen objektiven Beobachter mochte es ein bemerkenswertes Schauspiel sein, doch für den Lieutenant, der den Wolf so gut kannte, war es der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt.
„Du gehst heim!“ schrie Dunbar und stürmte auf Zwei Strümpfe zu. Wie ein Sohn, der seinen Vater zu weit getrieben hat, legte der Wolf die Ohren an und wich mit eingezogenem Schwanz zurück.
Gleichzeitig rannte Lieutenant Dunbar in die entgegengesetzte Richtung. Er wollte zu Cisco, um schnell davonzugaloppieren und Zwei Strümpfe abzuhängen.
Mit diesem Plan raste er über die Prärie, und der Wolf lief glücklich mit ihm.
„Du gehst heim“, schnarrte der Lieutenant und schwenkte plötzlich von seinem Verfolger ab. Zwei Strümpfe sprang geradeaus weiter wie ein erschrecktes Kaninchen und streckte die Pfoten in plötzlicher Panik aus. Als er auf dem Boden aufsetzte, war der Lieutenant nur einen Schritt hinter dem Wolf. Er packte ihn am Schwanz und kniff ihn. Der Wolf schoß vorwärts, als wäre ein Knallkörper an seinem Schwanz explodiert. Dunbar mußte lachen.
Zwei Strümpfe stoppte nach zwanzig Schritten schlitternd und starrte mit einer so verlegenen Miene über die Schulter, daß der Lieutenant einfach Mitleid mit ihm haben mußte.
Er winkte ihm Auf Wiedersehen, und immer noch lachend drehte er sich um und stellte fest, daß Cisco auf dem Weg, auf dem sie gekommen waren, zurückgewandert war und am allerfeinsten Gras knabberte.
Der Lieutenant verfiel in leichten Trab. Er mußte immer noch über das Bild lachen, das Zwei Strümpfe geboten hatte, als er nach seinem Schwanzgriff die Flucht ergriffen hatte.
Dunbar sprang wild auf, als etwas seinen Knöchel packte und dann losließ. Er wirbelte herum, bereit, sich dem unsichtbaren Gegner zu stellen.
Zwei Strümpfe war vor ihm und keuchte wie ein Boxkämpfer zwischen den Runden.
„Also gut“, sagte der Lieutenant sanft und hob kapitulierend die Hände. „Du kannst mitkommen oder bleiben. Ich habe keine Zeit mehr für dieses Spielchen.“
Es war vielleicht ein winziges Geräusch, oder der Wind brachte irgend etwas mit. Was immer es war, Zwei Strümpfe witterte es. Er fuhr plötzlich herum und starrte mit gesträubtem Fell über die Prärie.
Dunbar blickte in die Richtung, in die der Wolf starrte und sah sofort Weiser Vogel mit zwei anderen Männern. Sie waren nahe und beobachteten von einem Hang aus.
Dunbar winkte erfreut und rief „Hallo“, während Zwei Strümpfe davonschlich.

Weiser Vogel und seine Freunde hatte eine Zeitlang beobachtet, lange genug, um die ganze Schau mitzubekommen. Sie hatten sich großartig unterhalten. Weiser Vogel wußte ebenfall, daß er Zeuge von etwas Großartigem gewesen war, das eine Lösung zu einem der Rätsel bot, das den weißen Mann umgab – das Rätsel, wie man ihn nennen sollte.
Ein Mann sollte einen richtigen Namen haben, dachte er, als er den Hang hinunter und Lieutenant Dunbar entgegenritt, besonders wenn es ein Weißer ist, der wie dieser handelt.
Er erinnerte sich an die alten Namen wie „Mann-der-leuchtet-wie-Schnee“ und einige der neuen Namen, die sich verbreitet hatten wie zum Beispiel „Der-den-Büffel-findet“. Nichts davon paßte richtig. Und schon gar nicht „Jon“.
Weiser Vogel hatte das sichere Gefühl, daß er jetzt den richtigen Namen wußte. Er paßte zur Persönlichkeit des weißen Soldaten. Das Volk würde sich bei diesem Namen an ihn erinnern. Und Weiser Vogel war mit zwei Zeugen zu dem Zeitpunkt anwesend gewesen, als der Große Geist den Namen offenbart hatte.
Er sagte den Namen ein paarmal vor sich hin, während er den Hang hinunterritt. Der Klang war so gut wie der Name selbst.
Der-mit-dem-Wolf-tanzt.








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