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Aus der Welt der Literatur



2006-10-11
Der Herbst (Georg Heym)

An Herbstgedichten mangelt es nicht, haben sich doch nahezu alle Lyriker zu allen Zeiten daran versucht. Und wie alle Jahreszeiten-Gedichte bergen auch sie die Gefahr, kitschig, profan oder auch nur naiv zu sein. Nicht Georg Heym. Seine Verse, seine Poesie atmeten immer jene Bedeutungsschwere, jenes kaum Faßliche, das von einer Sekunde zur anderen zugleich betroffen und hingerissen zu machen imstande ist.

Heym war nur ein mittelmäßiger Schüler, sitzengeblieben, schließlich das Abitur, hin- und hergerissen zwischen beruflicher Orientierungslosigkeit, unstetem Verliebtsein und düsteren Lebensahnungen. 1912 versank er, erst vierundzwanzig Jahre alt, im Eis der Havel; es hieß, er wollte dem eingebrochenen Freund zur Hilfe kommen.

An jenem Wintertag verstummte mit Heym eine der begabtesten, ja, begnadetsten deutschsprachigen lyrischen Stimmen des angehenden zwanzigsten Jahrhunderts; gleichwohl hinterließ er ein bereits bemerkenswert umfangreiches literarisches Werk, das bis zum heutigen Tag nichts an seiner Größe verloren hat.

Auf den Grabstein setzten die Eltern nicht seinen Namen, sondern nur diese Inschrift:

„Ich habe Dich je und je geliebet,
darum habe ich Dich zu mir gezogen aus lauter Güte“ (Jer. 31.3)

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Der Herbst

Viele Drachen stehen in dem Winde,
Tanzend in der weiten Lüfte Reich.
Kinder stehn im Feld in dünnen Kleidern,
Sommersprossig und mit Stirnen bleich.

In dem Meer der goldnen Stoppeln segeln
Kleine Schiffe, weiß und leicht erbaut;
Und in Träumen seiner leichten Weite
Sinkt der Himmel wolkenüberblaut.

Weit gerückt in unbewegter Ruhe
Steht der Wald wie eine rote Stadt.
Und des Herbstes goldne Flaggen hängen
Von den höchsten Türmen schwer und matt.



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