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Aus der Welt der Literatur



2003-06-08
Dora Holdenrieth (Paul Bertololy; Paul List Verlag, Leipzig)

Vor Jahrzehnten geschrieben.....zeitllos die Erzählung von der schicksalhaften Begegnung in jungen Jahren, von der Ohnmacht gegenüber vielleicht vorbestimmten Geschehnissen....

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Textauszug:

Ich sank vor dem Bett in die Knie, zog überwältigt ihre Hand an meine Wange und sah durch schwimmende Kreise ihr liebes Gesicht nicht anders als ein Verzückter, dem eine Erscheinung zuteil wird. Ein machtvoll sich immer weiter ausbreitender Glanz schien von der Erweckten auszugehen und allmählich den ganzen Raum zu erfüllen. Das Wunder, von dem der Wesser gesprochen, das große Wunder, an dem sein Wissen verzweifelt, hatte sich erfüllt, der Himmel hatte sich aufgetan, und es geschickt: Das Wunder der Auferstehung. Und während ich noch mit ihm rang, wie in Eisesnacht vom hellsten Sonnenlicht übergossen, und es nicht erfassen konnte mit dem erstorbenen Gebilde, zu dem diese Tage mein Herz gewandelt, fühlte ich die Hand, die ich mit den meinen umschlossen hielt, sich leise befreien und über meine Wange streicheln, und hörte ebenso leise und erdfern wie den Klang einer seraphischen Musik meinen Namen hauchen. Da richtete ich mich höher und beugte mich über die Wiedergefundene, und plötzlich, unter dem Glück, das mich qualvoller als aller Schmerz erschütterte, begann der Eisblock in mir zu schmelzen, seine Wasser drangen ungestüm und ohne daß ich ihrer wehren konnte aus meinen Augen und überfluteten mein Gesicht, unstillbar und unaufhörlich, daß ich, wie ein Gemarteter im Übermaß seiner Pein, ganz still hielt mit nur einem kleinen, zuckenden Lächeln. Und immer weiter fühlte ich sie rinnen, fühlte ihre salzige Kühle auf meinen vertrockneten Lippen und hörte sie tropfen, jetzt und jetzt und jetzt, in immerwährendem Sicherneuern, daß das Leinen schon ganz feucht sein mußte von diesen vielen, hervordrängenden Tränen, und konnte und mochte doch kein Glied und keine Miene dagegen rühren, denn sie waren ja die Erlösung, die große Gnade, das Zerfließen des Eisbergs, der sich in diesen namenlosen Tagen und Nächten Schicht um Schicht in mir gebildet. Aber als ihr Vorhang sich endlich lichtete, und ich mich ermannend in das geruhsam wartende Gesicht sah, dessen überlegene Klarheit etwas Fernes und trotz seiner Unbeweglichkeit fast Lächelndes hatte, wurde mir erst das Besondere dieses Ausdrucks offenbar, so als ob diese wissende, übersichtige Wachheit der Wiederkehr ihres Bewußtseins aus nur ihr erschlossenen Welten entspringe, an die sie eine mir unverständliche Beziehung immer noch kette. Vielleicht war es nur darum, daß ihr Gesicht in dieser ausdrücklichen Ruhe verharrte, wo Worte nichts zu erklären vermochten, und allein ihre Augen redeten, indem sie in dieser erleuchtenden und einprägenden Klarheit ohne Hast auf meinem Gesicht einherwanderten, während gleichzeitig ganz tief in ihnen, gleichsam hinter ihnen, eine gerührte Belustigheit, eine unirdische Schalkhaftigkeit flimmerte. Endlich bewegte sie die Lippen und sagte so leise, daß es wie ein Beben an mein Ohr rann:
Ich habe dich immer gesehen."
Ihre Augen verloren sich dabei im Leeren, als erschaue sie die Begegnisse ferner Regionen, um erst jetzt an ihre irdische Herkunft oder Verwirklichung zu glauben. In diesem Wandel hin und her, zwischen zwei nur durch sie und ihren traumwachen Zustand verbundenen Reichen verharrte sie eine ganze Weile, bald begann ihr Atem zu stocken, ihr Blick zu entgleiten, ihr Gesicht wie in der Agonie sich zu entfärben, bald leise sich zu röten mit anschwellendem Atem und redenden, wandernden Augen. Aber dann war sie wiederum völlig bei mir, zog mit ihrer kraftlosen Hand mich näher, daß ihr Arm auf meine Schulter zu liegen kam, und sagte ganz still und weich: " Es ist soweit, ich muß sterben."



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