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Aus der Welt der Literatur



2005-11-06
Falsche Rechnung (aus "Sämtliche Menschen" von Eugen Roth)

Man muß die Menschen kennen, im Grunde muß man sie innig lieben, um Gedichte dieser Art zu schreiben. Tausend Nöte, tausend Kümmernisse, kleine und große Tücken, die das Leben für uns alle parat hält. Doch – und das ist das Tröstliche an Roths Gedichten – wir wissen uns nicht alleine mit den alltäglichen Widerwärtigkeiten. Denn niemand wird dabei vergessen, keiner kommt ungeschoren davon.

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Textauszug:


Falsche Rechnung

Ein Mensch erwirbt, den Vorteil nutzend,
Sich Karten fürs Konzert im Dutzend.
Beim ersten muß er staunend lesen,
Daß – gestern es bereits gewesen.
Beim zweiten – was den Vorteil mindert! –
Ist er beruflich just verhindert.
Beim dritten – ´s geht Punkt acht Uhr an! –
Streikt hoffnungslos die Straßenbahn.
Er glaubt nicht, daß das vierte lohn´:
Statt Mozart spielt man Mendelssohn.
Das fünfte er versäumen mußte –
Grund: sein Geschneuze und Gehuste.
Das sechste, siebente und achte
Verschenkt´ er, weil er Ferien machte.
Das neunte endlich und das zehnte
Genoß er, wie er´s längst ersehnte.
Nur ungern ging er in das elfte
Und floh schon nach der ersten Hälfte.
Das zwölfte hätte ihm behagt –
In letzter Stund wards abgesagt.
Der Mensch tat nunmehr einen Schwur,
Er kaufe Karten einzeln nur
Und, statt daß er sich zwingen lasse,
Geh er bloß, wenns ihm grade passe.
Doch paßts ihm nie – und als Banause
Bleibt er jetzt überhaupt zuhause.



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