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Aus der Welt der Literatur



2005-05-07
Kubik (Valentin Katajew / Dörlemann Verlag, Zürich / ISBN 3-908777-13-5)

Man liest einen Text, oft sind es wenige Worte, einige Zeilen nur und doch geschieht die Überwältigung in Windeseile, nimmt uns ein Empfinden gefangen, das wir kaum uns selbst, geschweige anderen zu erklären vermögen. Man liest die Sätze wieder und wieder; so einfach, wie sie dastehen, ohne scheinbare Kunstfertigkeit. Wie lange wir sie auch betrachten mögen, sie geben die Ursachen ihrer Faszination nicht preis. Katajew verstand sich auf diese außergewöhnliche Wirkung einer vordergründig einfachen, leichthin daherkommenden Sprache; in „Kubik“ entführt er den Leser ein ums andere Mal in das Geheimnis einer besonderen Literatur.

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Textauszug:

Sie öffnete flink das Glastürchen und blies die Kerze aus. – Hast du Angst? hörte man sie im Dunkeln flüstern. – Ich habe keine Angst, murmelte der Junge düster und log, denn in Wirklichkeit fürchtete er sich so sehr, daß sein Herz wie ein Lämmerschwänzchen zitterte. – Geh nur nicht weg, bat er kläglich. Sie rührte sich nicht und schwieg. – Wo bist du, rief er. Sie schwieg. Man hörte sie nicht einmal atmen. Er machte einige Schwimmbewegungen mit den Armen, als wollte er die Dunkelheit teilen, aber dadurch wurde sie noch undurchdringlicher. – Wo bist du denn, Sanjka? Jetzt war er überzeugt, daß sie überhaupt nicht mehr im Schuppen war. Sicher war sie unbemerkt hinaufgeschlichen, auf den Hof, wo die Sonne vom Himmel brannte, und hatte ihn mutterseelenallein den Ratten zum Fraß überlassen. Er war entsetzt. – Aber, Sanjka, hör doch...Sei nicht gemein...Er gab klein bei und flehte jämmerlich.
Schweigen, Schweigen, dumpfe Stille.
Man hörte kleine Sturzbäche unterirdischen Staubs die Wände hinunterrieseln und ein Knistern – vielleicht wuchsen auf den geheimnisvollen Buchstaben langsam die Salpeterkriställchen. Er hielt den Atem an und hörte plötzlich in der Nähe einen Ton, der von einer weich tickenden Uhr zu kommen schien, aber dieses Ticken war nicht mechanisch, sondern lebendig, warm und vermittelte auf eine unerklärliche, wunderbare Weise die Vorstellung von kleinen Rippen, Zwerchfell, zurückgehaltenem Atem und dem leisen Rauschen kreisenden Blutes. Er streckte den Arm aus und berührte mit den Fingern den warmen Stoff ihres Kleides. – Bist du das? frage er. Sie schwieg und rückte offensichtlich zur Seite, denn die Finger Ptschjolkins spürten den Stoff nicht mehr und irrten jetzt im Dunkeln.



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