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09.08.2006 Literatur und Zensur (Maxim Billers "Esra")

Um einen Roman – wohlgemerkt: einen Roman, keine Autobiographie –, in dem der Autor, für den Kundigen unschwer erkennbar, Episoden seines eigenen Lebens erzählt, muß man gemeinhin nicht viel Aufhebens machen. Außer der Randbemerkung vielleicht, daß es die leichteste, deshalb gebräuchlichste und demzufolge auch die literarisch anspruchloseste Form des Romanschreibens darstellt. Reich-Ranicki ließ hierzu wissen, erst am zweiten oder dritten Roman erkenne man die wirkliche Qualität eines Autors, denn zuvor habe er nur von sich und über sich geschrieben, wenn auch meist um Verfremdung bemüht. Daß es – wenige – Werke der Weltliteratur gibt, die dem scheinbar widersprechen, ändert diese These nicht von Grund auf.

Auch dann, wenn sich ein solches Buch als späte Abrechnung mit einer Liebschaft und deren familiärem Umfeld entpuppt, enthüllt das vielleicht etwas über das Format des Autors, doch das ist auch schon alles. Selbst wenn sich die Protagonistin in den Textdetails, die mit Intimitäten nicht geizen, wiedererkennt, dürfte der Aufmerksamkeitswert gering sein, erst recht, wenn sich der Bekanntheitsgrad der Betroffenen wohl auf die allernächste Umgebung beschränkt.

Maxim Biller hat ein Buch dieser Machart („Esra“) geschrieben, 2003 brachte es Kiepenheuer & Witsch heraus. Zwei Jahre später wurde seine Verbreitung vom Bundesgerichtshof endgütig verboten. Erst dieser Vorgang, der Eingriff des Gerichts in die Arbeit des Schriftstellers, gibt dem Buch einen Rang von Wichtigkeit, den es zuvor nicht besaß und der ihm literarisch nicht zustand. Erst hier, erst ab diesem Zeitpunkt verdiente das Buch ein besonderes Interesse, ab hier ist die Literatur, ist Kunst in jeglicher Form betroffen. In jedem Roman, auch im fiktiven, werden sich jederzeit zuhauf Personen und Begebenheiten finden lassen, in denen sich Menschen – zu recht oder nicht – wiederzuerkennen glauben. Literatur als justitiabler Vorgang, als gerichtsnotorisches Dauerereignis? Buchzensur vielleicht erst zwanzig Jahre nach der Erstveröffentlichung, weil die Beziehung lange hielt und die oder der Verlassene die Anstößigkeit vertrauter Texte erst dann erkannte?

Inzwischen erweiterte die Ex-Geliebte den Hintergrund ihrer erfolgreichen Buchverhinderungsbemühungen vom ideellen in den materiellen Bereich. Sie klagt zusätzlich auf Schadenersatz in Höhe von 100.000 Euro.


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