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Kritikus


11.06.2013 Deutsche (und internationale) Literaturszene ... xte Folge ...

„Zeit online“ kürt Chris Womersleys „Beraubt“ (DVA) gar zum „Buch der Woche“ und schreibt weiter: „Der australische Schriftsteller Chris Womersley hat mit seinem Roman ‚Beraubt’ ein unwiderstehliches Meisterwerk geschaffen … Womersleys preisgekrönter Roman ist einzigartig … Mit seinem ruhigen Ton und der poetischen Sprache … ‚Beraubt’ ist ein Werk von besonderer Kraft, es ist originell und magisch, düster und zugleich voller Licht, man kann es nicht weglegen. Und nach dem Lesen kann man es nicht vergessen.“ Andere Feuilletons sind etwas zurückhaltender in ihren Äußerungen, doch vielen ist das Buch immerhin erwähnenswert, und alles in allem überwiegen die positiven Töne.

Kritikus kann sich dem in keiner Weise anschließen, er las selten ein so unglaublich überschätztes Buch, und selten schrieb er einen so eindeutigen Verriß wie diesen hier.

Die Handlung des Romans ist rasch aufgeführt:

Australien 1909. Zwölfjähriges Mädchen wird vergewaltigt und ermordet. Täter ist der Onkel, der zwei Jahre älterer Bruder ist Zeuge der Tat, wird aber selbst der Tat beschuldigt, weil ihn der Vater samt Mörder-Onkel, der zum Tatort zurückkehrt, genau dort mit blutbesudeltem Messer in der Hand antrifft. Bruder flieht, wird steckbrieflich gesucht, gilt als verschollen, später als tot, weil er als Soldat in Frankreich beim Kampf gegen die Deutschen gefallen sein soll. Bruder kehrt nach zehn Jahren heim, wird zum Racheengel am Onkel und dessen Komplizen, verschwindet wieder mit einer Zwölfjährigen, die ihn als Früherwachsene bei seinem Rachefeldzug unterstützt.
Da fragt Kritikus mal ganz despektierlich: Na und? Was, um Himmels willen, ist an diesem Plot neu, was ist ungewöhnlich, was ist so Ungeheuerliches, so Phantastisches in der erzählten Geschichte versteckt, das die Lobeshymnen auch nur annähernd rechtfertigt? Es gibt haarsträubende handwerkliche Fehler zu entdecken: Ermordete Schwester und die neue Zwölfjährige werden im Text unverhofft verwechselt, das sogenannte Outback, in dem sich der Heimkehrer wochenlang vor der Stadt versteckt, liegt offenbar nicht sehr weit weg, denn er beobachtet die Häuser, sein Elternhaus, sieht die Menschen, sieht die Lichter der Stadt, riecht das Feuer aus den Kaminen, doch sein Lagerfeuer sieht und riecht offenbar niemand, auch der mörderische Onkel nicht, der seiner neuen jungen Begleiterin nachstellt, auch die Suche nach ihm noch nicht so ganz aufgegeben hat. Auch mit seinem Revolver schießt Quinn, so heißt der junge Mann, in seinem Versteck schon mal um sich, auch das hört offensichtlich niemand. Niemand, bis auf einen Sonderling, dem keiner glaubt, kommt auf die Anhöhe, die bis auf Rufentfernung an die ersten Häuser der Stadt heranreicht, darunter auch sein Elternhaus, in dem er fortan tagelang die auf dem Sterbelager siechende Mutter besucht. Niemand sieht ihn, seine Begleiterin erst recht nicht, die mit übersinnlichen Kräften ausgestattet sein muß. Es wimmelt nur so von schieren Unglaublichkeiten. Daß man in Romanen nicht alles auf absolute Glaubwürdigkeit abklopfen kann, ist völlig klar. Doch was Womersley sich da ausgedacht hat und seinen Lesern zumutet, übersteigt bei weitem das noch Tolerierbare und Erträgliche. Da flieht ein Vierzehnjähriger, wird im ganzen Land gesucht, wird Soldat in Australiens Armee, nachdem er sich – einfach so – wohl noch ein paar Jahre so durchgeschlagen hat, bevor ihm die Soldatenlaufbahn offenstand. Irgendwelche Papiere, die diesen Namen verdienen? Wohl nicht so wichtig. Nirgendwo fiel er auf, niemand machte sich Gedanken über ihn, nur in seiner Heimatstadt, doch die war ja so fern.

Es heißt, daß die Sprache alles herausreißen kann, wenn die Handlung es nicht bringt. Doch Womersleys Sprache ist mitnichten poetisch, sie ist nicht originell, sie ist nicht melodisch, vermag in keiner Weise zu überzeugen, nervt im Gegenteil bis zum Überdruß mit dem fast manischen Bemühen, Vergleiche anzubringen, damit der Leser auf jeden Fall und ganz sicher versteht, was ihm der Dichter sagen will. Bis zur Schmerzgrenze finden sich da Redewendungen, von denen nur auszugsweise ein paar vorgestellt werden sollen:

…Atem, der wie ein frisch bewässerter Obstgarten duftet…
…seine Kehle, die ihm vorkam wie eine Geige mit einer zerfetzten Saite…
…Schwermut durchflutete ihn, wie Wein, der dunkel durch Wasser glitt …
…seine fahrigen Finger, blaß wie Nachtfalter …
…in der Nacht zurückgezogen wie das Meer bei Ebbe …
…wie ein ansteigender Fluß breitet sich auf seinem Gesicht ein Lächeln aus …
…es (Gras) war hüfthoch und wogte wie Seide im Wind ….
…seine Zunge war so dick und plump, als wäre sie aus Wolle …
…Ein Pferd scharrt in der Erde, als ärgerte es sich darüber, daß es sich kein Grab
ausheben konnte …
…reckte den Kopf wie eine blasse, verblüffte Schildkröte …
…Vögel so groß wie das Herz eines Kindes ….
…Finger, deren Spitzen so gelb waren wie elfenbeinerne Klaviertasten …
…geduckt hinstellen wie ein großer Vogel kurz vor dem Losfliegen …
…ihre Augen funkelten wie das Wasser am Boden eines Brunnens …


Das ist nicht poetisch, das ist einfach nur ärgerlich, nicht allzuweit weg vom weißen Schimmel. Ganz abgesehen von den „funkelnden Krähenaugen“, „gefletschten Hundezähnen“ samt – natürlich – „funkelnden Hundeaugen“, „wutfunkelnden Hundeaugen“ und „krächzenden Krähen“ und anderen Plattheiten, gibt es auch noch Übernatürliches zu lesen, wenn in der Dunkelheit Beine aufblitzen oder die Hauptperson im Dunkeln errötet. Es gäbe noch sehr viel mehr an solchen Ungereimtheiten aufzuzählen, und nicht alles, wenn überhaupt etwas davon, kann der Übersetzung angelastet werden.

Fazit, zugegeben, etwas verkürzt und vergröbert: Einen Roman dieses Formats können viele Autoren schreiben, ohne daß sie damit großes Aufsehen erregen würden. Wenn sie denn einen Verleger für die eher biedere Geschichte fänden. Die Frage stellt sich, wie Romersley es zuwege gebracht hat, daß er so in den Focus der literarischen Zirkel geraten konnte. Mit diesem Buch jedenfalls völlig unverdient.




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