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05.02.2009 Reich-Ranicki und die Selbstcharakterisierung

Wie schön, daß auch Große mal schwächeln. Und Altersweisheit nicht immer und nicht überall die Oberhand gewinnt. Unlängst befaßte sich Reich-Ranicki in seiner Leserbriefecke der FAZ-Sonntagsausgabe, wo er sich nicht ungern gemüßigt sieht, Fragesteller schulmeisterlich zurechtzuweisen, mitunter auch in barschem Tone vorzuführen, mit den Novellen Stefan Zweigs. Und da meinte er nun anmerken zu sollen, daß Zweigs erotische Einlassungen, die in vielen seiner Novellen aufschienen, dessen höchstpersönlichen „erotischen Komplex“ offenbarten. Und damit es auch jeder versteht, setzte er noch einen drauf: „ ......aber es kann keinen Zweifel geben, daß wir es mit einer Selbstcharak-terisierung Zweigs zu tun haben.“
Und immer noch gab er keine Ruhe. Selbst bei Zweigs glänzend geschriebener „Schachnovelle“ dränge sich die einfache Frage auf: „Na und?“ Die unzweifelhaft spannende Novelle gäbe keinen Anlaß zu tieferen Überlegungen. Letzteres mag ja für ihn höchtspersönlich zutreffen, die Literaturwelt sieht es mehrheitlich anders, stuft jene Novelle als einen der bedeutendsten Zweig´schen Texte ein. Und sein forsches „Na und?“ ließe sich, seine eigenen literarischen Verlautbarungen eingeschlossen, unschwer – gleichwohl unzutreffend – auf die allermeisten erzählenden, lyrischen Bücher absichtsvoll übertragen.

Es ist fürwahr schon arg, was Reich-Ranicki da von sich gibt. Daß in jedem literarischen Text, der diese Bezeichnung verdient, immer auch etwas vom Autor steckt, Lebenserfahrung, Belesenheit, Vorstellungsvermögen, natürlich auch Züge der eigenen Psyche, ist nicht neu, ist selbstverständlich, gehört gewiß zum Grundwissen literarischer Erstsemester. Doch in diesem Zu-sammenhang sich dazu zu versteigen, einem Autor „Selbstcharakterisierung“ zu unterstellen, bedarf schon einer gehörigen Portion Selbstgerechtigkeit und Abgehobenheit.

Die Frage nach der Selbstcharakterisierung, folgte man Reich-Ranicki in seinen Gedanken, richtete sich zuallererst einmal gegen ihn selbst. Man darf getrost davon ausgehen, daß er unter den vielen Leser-Zuschriften eine Auswahl danach trifft, welche ihm veröffentlichungswürdig scheinen, d. h., Fragen bzw. Fragesteller, an denen er sich abarbeiten, bei denen er glänzen, in deren Kontext er seinen literarischen Sachverstand präsentieren kann, zumeist eben auf Kosten der arglosen Leserbriefschreiber. Schon bei der Plazierung des Selbstportraits, das seiner Literaturspalte vorangestellt ist und ihn, den Kopf in die Hand gestützt, tiefsinnig in die Augen des Lesers blicken läßt, wird er entscheidend mitgewirkt haben. Selbstcharakterisierung? Jeder Satz, jede seiner Antworten, jede seiner forschen Äußerungen für die Öffentlichkeit: effektvolle Attitüde? Oder nicht doch Selbstcharakterisierung? Das Fläzen auf der Couch, das Zelebrieren der Sätze, die Selbstverliebtheit in die eigenen Worte: öffentlichkeitswirksames Spektakel? Oder nicht doch Selbstcharak-terisierung?

Im Grunde müßte es in der Poetenschar mächtig rumoren. Übertrüge man nämlich die Thesen Reich-Ranickis von der „Selbstcharakterisierung“ auf den Literaturbetrieb in Gänze, liefen nicht wenige der Autoren – gemessen am Inhalt ihrer Bücher – als stigmatisierte Psychopathen durch die Welt.

Desungeachtet sieht, liest und hört Kritikus ihn nach wie vor mit größtem Vergnügen, den Vater sämtlicher Literaturkritiker, sozusagen die Mutter aller Literaturschlachten, verpaßte bislang so gut wie keine seiner Fernsehauftritte samt jüngstem Fernsehpreis-Affront, ergötzte sich an seinen medialen Selbstinszenierungen. Doch ein bißchen mehr Maß und Mitte, wenn er – aus Überzeugung oder gespielt – wieder einmal den bärbeißigen Analysten und Belehrenden herauskehren will, stünde auch ihm gut an.


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